Goldreport 07/21: EZB und Fed ignorieren Inflation
Im Juli schien die Marke von 1.800 Dollar magnetische Kräfte zu entwickeln. Nachdem die Krisenwährung im Monat zuvor noch ein Minus von über sieben Prozent erlitten hat, verzeichnete sie im Juli bislang eine Erholung um 2,7 Prozent (Stand: 29. Juli).
Nachlassende Risikoaversion bremst Goldinteresse
Sowohl der DAX als auch der Dow-Jones markierten im Juli ein neues Allzeithoch, was sich als Beleg für einen stark gestiegenen Risikoappetit der Investoren interpretieren lässt. In einem solchen Umfeld sollte man sich nicht allzu sehr wundern, dass der Goldpreis keine Freudensprünge nach oben vollzieht. Die normalerweise attestierte negative Korrelation zwischen Aktien und Gold entfiel allerdings. Erfahrungsgemäß ist Gold in konjunkturellen Boomphasen, wie wir sie derzeit zweifellos erleben, nicht sonderlich stark gefragt. Nachdem der IWF der US-Wirtschaft im April für das laufende Jahr ein jährliches Wachstum von 4,6 Prozent prognostiziert hatte, revidierte er diesen Wert drei Monate später auf 7,0 Prozent. In solchen Marktphasen wird Gold häufig links liegengelassen, weil sich Anleger von Aktien eine starke Performance bzw. attraktive Dividendenrenditen erhoffen. Obwohl die besonders ansteckende Delta-Variante des Corona-Virus weltweit auf dem Vormarsch ist, rechnen die Akteure an den Finanzmärkten derzeit mit Blick auf drohende Lockdowns mit keinem Rückfall in den absoluten Krisenmodus. Das Beispiel England hat allerdings gezeigt, dass eine allzu große Sorglosigkeit zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen führen kann. Weil nämlich viele Beschäftigte in Quarantäne mussten, litt im Juli die Wirtschaft unter Personalmangel und die Konsumenten unter leeren Supermarktregalen.
Weil der Risikoappetit der Investoren gestiegen und somit die Risikoaversion gesunken ist, war im Juli vor allem im ETF-Sektor Abgabedruck zu beobachten. So hat sich zum Beispiel die gehaltene Goldmenge des weltgrößten Gold-ETF SPDR Gold Shares seit Ende Juni von 1.045,78 auf 1.025,64 Tonnen (-20,14 Tonnen) reduziert. Nur zur Erinnerung: Ende Dezember war hier noch ein Wert von 1.170,74 Tonnen gemeldet worden.
US-Inflation auf höchstem Stand seit 13 Jahren
Im Juli wurde aber auch eine stark steigende US-Inflation für den Monat Juni gemeldet. Sie hat sich nämlich gegenüber dem Vormonat von 5,0 auf 5,4 Prozent beschleunigt und wies damit den höchsten Wert seit fast 13 Jahren aus. Der Anstieg der Konsumentenpreise hatte mehrere Ursachen. Vor einem Jahr notierten wichtige Rohstoffe extrem niedrig, was im Zuge der seither registrierten massiven Erholung einen kräftigen Anstieg der Konsumentenpreise zur Folge hatte. Der starke Preisanstieg war aber auch auf den während der Lockdowns registrierten Konsumstau sowie den Kapazitätsabbau der Wirtschaft zurückzuführen. Außerdem funktionierten Lieferketten nicht mehr reibungslos, was unter anderem der havarie-bedingten Blockade des Suez-Kanals und den corona-bedingten Restriktionen eines wichtigen chinesischen Seehafens zuzuschreiben war. Dadurch sind im Schiffsverkehr die Container-Frachtkosten regelrecht explodiert, was sich an dem innerhalb von zwölf Monaten registrierten Anstieg des Freightos-Baltic-Index (FBX) um über 250 Prozent ablesen lässt.
Grundsätzlich interpretieren Kapitalmarktexperten eine beschleunigte Inflation als Kaufargument für Gold, insbesondere in Zeiten niedriger Zinsen bzw. stark negativer Realzinsen. In einem aktuellen Marktausblick des World Gold Council wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass sich die Krisenwährung Gold in Jahren mit mehr als drei Prozent Inflation um durchschnittlich 15 Prozent verteuert hatte. Diese vermeintliche Gesetzmäßigkeit hat bislang noch nicht gegriffen — aber was nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden. Gegenwärtig scheinen die Sorgen, dass die Zinsen schneller als erwartet steigen könnten ausgeprägter zu sein, als die Angst vor einer anhaltenden oder gar beschleunigten Geldentwertung.
Robert Hartmann, einer der beiden Gründer von pro aurum, merkt an, dass das Wirken der wichtigsten Notenbanken der gleichen Denkschule entspricht. Für sie bedeute Preisstabilität eine Geldentwertung von zwei Prozent jährlich. Er sagt: „Das ist grotesk und eigentlich ein Wiederspruch in sich. Genau genommen bedeutet dies, dass sich die obersten Währungshüter einen Kaufkraftverlust von 20 Prozent innerhalb von zehn Jahren wünschen.“ Gegenwärtig betrachten die Notenbanker die zuletzt stark steigenden Inflationsraten als vorübergehendes Phänomen. Der erfahrene Edelmetallprofi stellt klar: „Wir werden diese Aussagen zu gegebener Zeit überprüfen und kommentieren. Im Großen und Ganzen habe ich bei den Fed und EZB ein ‚Weiter so‘ wahrgenommen.“ Das heißt: Die Anleihekäufe bleiben auf Rekordniveau und die Zinsen verharren noch mindestens bis 2023 bei null bzw. nahe null Prozent. Bei der jüngsten Fed Sitzung fiel der Tenor wieder ausgesprochen „taubenhaft“ aus. Konkrete Hinweise auf ein Anheben der Leitzinsen oder Zurückfahren der Anleihekäufe geblieben und skeptische Bemerkungen zum US-Arbeitsmarkt und zur Inflation halfen dem Goldpreis deutlich über die 1.800-Dollar-Marke.
Robert Hartmann nimmt kein Blatt vor den Mund und sagt: „Wir leben derzeit im größten Geldexperiment aller Zeiten. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das am Ende gut geht.“ Sein Fazit lautet daher: Jeder, der ohne eine „Versicherung“ in Form von Gold oder Silber im Portfolio investiert, handelt grob fahrlässig.
Geldpolitik: EZB und Fed weiter auf dem „Gaspedal“
Sowohl die Fed als auch die EZB haben sich von ihren in der Vergangenheit kommunizierten Inflationszielen verabschiedet. Sie vertreten seit Wochen die Ansicht, dass die beschleunigte Geldentwertung vorübergehen wird. Laut Lehrbuch kann Inflation durch eine steigende Nachfrage, ein rückläufiges Angebot oder eine steigende Geldmenge angetrieben werden. Derzeit treffen alle drei Punkte zu. Der ultraexpansive Kurs der Notenbanken hat vor allem Sparern geschadet und Kreditnehmer begünstigt und bei Bargeld, Bankeinlagen und Staatsanleihen bester Bonität zu einer vorprogrammierten Vermögensvernichtung geführt. Wichtig zu wissen: Auf Basis aktueller Inflationszahlen verlieren 100.000 Euro aktuell 2.300 Euro und 100.000 Dollar sogar 5.400 Dollar an Kaufkraft pro Jahr.
Offensichtlich ist die Mehrheit der Wirtschaftsexperten, Bürger und Investoren der Ansicht, dass die Notenbanken trotz der zahlreichen Krisen der vergangenen Jahrzehnte weiterhin „Herr der Lage“ sind. Ein bisschen hat man allerdings den Eindruck, dass sie nicht mehr ganz so souverän agieren. Innerhalb der Fed melden sich immer wieder die „Falken“ zu Wort, die für eine restriktivere Geldpolitik plädieren. Außerdem sehen sie dezentrale Kryptowährungen verstärkt als Konkurrenz. Kein Wunder, schließlich ist insbesondere beim Bitcoin ein rückläufiges Angebot aufgrund des Algorithmus vorprogrammiert. Mittlerweile genießt er auch unter institutionellen Investoren — trotz seiner enormen Volatilität — als Inflationsschutz und Anlagealternative ein hohes Ansehen. Selbst die EZB liebäugelt mit der Einführung eines digitalen Euros und kündigte im Juli eine zweijährige Untersuchungsphase an.
Robert Hartmann merkt diesbezüglich an, dass es darauf ankommt, wie eine digitale Währung umgesetzt wird. Er erklärt: „Dient sie als zusätzliche Möglichkeit für den Zahlungsverkehr sehe ich durchaus Vorteile. Mit Erscheinen eines digitalen Euros muss meiner Meinung nach auch gesetzlich klargestellt sein, dass dem Bargeld niemals die Funktion des Zahlungsmittels genommen werden darf.“ Seine Forderung lautet daher: Der digitale Euro darf das Bargeld nicht ersetzen.
Edelmetallexperte Hartmann ist sich allerdings nicht sicher, welche Strategie die EZB mit dem digitalen Euro verfolgt und sagt: „Grundsätzlich besteht hier natürlich die Möglichkeit, den Bürger gläsern zu machen. Jeder Kauf und jede Transaktion kann nachverfolgt werden. Theoretisch können Bürger bestraft werden, die sich nicht ‚konform‘ verhalten.“ Es bestehe zudem die Gefahr, dass sich Negativzinsen theoretisch beliebig erhöhen lassen — und all das auf „Knopfdruck“! Für ihn ist dies eine schaurige Vorstellung.
Gold/Silber-Ratio mit kräftigem Rebound
Im Juli entwickelte sich der Silberpreis deutlich schlechter als Gold. Dies kann man am Anstieg des Gold/Silber-Ratio von 68 auf 72 besonders gut erkennen. Diese Kennzahl zeigt an, wieviel Feinunzen Silber einer Feinunze Gold entsprechen. Ein steigendes (fallendes) Gold/Silber-Ratio bringt somit eine Outperformance (Underperformance) von Gold gegenüber Silber zum Ausdruck. In den vergangenen 17 Monaten schwankte der Indikator zwischen 62 (Februar 21) und 125 (März 2020) relativ stark, was zum einen auf die überdurchschnittlich hohe Kursschwankungsintensität (Volatilität) bei Silber und dessen dynamischen Eigenleben zurückzuführen ist.
Robert Hartmann weist darauf hin, dass die Preisfindung für Edelmetalle am Spotmarkt in London und an den Futures-Märkten in New York stattfindet. Derzeit fällt das Aufgeld für physische Silbermünzen wie den kanadischen Maple Leaf oder den American Eagle deutlich höher als im Schnitt der vergangenen Jahre aus. Das liegt daran, dass mehr dieser Münzen nachgefragt werden als die Hersteller produzieren können. Normalerweise müssten deshalb die Preise steigen, was derzeit aber nicht geschieht. Hartmann bereitet dies dennoch kein Kopfzerbrechen. Er sagt sich nämlich: „Edelmetallkäufer sind langfristig orientiert. Und langfristig wird eine höhere Nachfrage auch zu anziehenden Preisen führen. Davon bin ich zutiefst überzeugt.“
Leichte Sommerflaute im Juli
Im Vergleich zu den Vormonaten hat sich im Juli das Edelmetallgeschäft leicht beruhigt. In einigen Bundesländern haben die Ferien begonnen und viele Menschen sind auf Reisen. Das gibt unseren Kolleginnen und Kollegen endlich die Gelegenheit, nach den turbulenten ersten sechs Monaten etwas durchzuschnaufen. Die Verfügbarkeit ist ganz okay, was die Barren angeht. Bei den Münzen hat sich die Lage bei den Unzen-Einheiten erneut verbessert. Nur die kleineren Einheiten sind weiterhin schwer zu bekommen. Die Produzenten fokussieren sich — wie in den Monaten zuvor — auf die Herstellung der Unzenmünzen. Was die Lieferfristen angeht, sind wir en jour. Dies bedeutet, dass die Ware unmittelbar nach Erhalt der Zahlung an den Kunden geschickt wird.
Drei Fragen an die Privatkunden von pro aurum
Im Juli beteiligten sich 672 Anleger an der Edelmetall-Stimmungsumfrage von pro aurum (Juni: 1.469). Mit dem Kaufinteresse ging es ebenfalls bergab. So reduzierte sich der Anteil der Kaufwilligen gegenüber dem Vormonat von 51,9 auf 44,6 Prozent recht deutlich. Signifikant zugenommen hat hingegen der Anteil derer, die gegenüber Edelmetallen eine abwartende Haltung einnehmen. Hier stellte sich im Berichtszeitraum ein Zuwachs von 44,8 auf 48,8 Prozent ein. Spürbar erhöht hat sich aber auch die Verkaufsbereitschaft der Anleger, wo ein markantes Plus von 3,3 auf 6,6 Prozent registriert worden war.
Hinsichtlich der Bewertung der aktuellen Edelmetallpreise war im Juli ein leicht nachlassender Optimismus festzustellen. Während im Monat zuvor noch 65,9 Prozent der Umfrageteilnehmer Edelmetallpreise als unterbewertet eingestuft haben, fiel die Quote im Juli auf 63,8 Prozent leicht zurück. Verstärkt hat sich hingegen die Ansicht, dass Edelmetalle aktuell fair bewertet seien. Ihr Anteil hat sich nämlich von 24,3 auf 26,8 Prozent erhöht. Wie in den Monaten zuvor, sieht lediglich eine Minderheit gegenwärtig überbewertete Edelmetallpreise. Hier gab es ein leichtes Minus von 9,8 auf 9,4 Prozent zu vermelden.
Bei der Frage nach der weiteren Preisentwicklung der Edelmetalle im kommenden Quartal hat sich der Anteil der Optimisten erhöht. Im Juli prognostizierten nämlich 44,7 Prozent der Befragten steigende Edelmetallpreise, nachdem im Vormonat ein Wert von 41,2 Prozent gemeldet worden war. Ein bisschen stärker war die Meinung vertreten, dass die Edelmetallpreise seitwärts tendieren werden. Hier stellte sich ein Zuwachs von 41,8 auf 45,1 Prozent ein. Besonders stark bergab ging es indes mit der Anzahl der Pessimisten, deren Quote im Berichtszeitraum von 17,0 auf 10,2 Prozent regelrecht eingebrochen ist.
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