Hans-Günter Ritter von Heraeus: Alle Barrengrössen sind wieder lieferbar
Edle Barren aus dem Hause Heraeus sind in diesem Jahr aufgrund der Corona-Krise stark gefragt. Wir sprachen mit Hans-Günter Ritter, dem Leiter Edelmetallhandel bei Heraeus, über das aktuelle Marktgeschehen in diesen besonders unsicheren Zeiten.
Während des Corona-Crashs im März hatten Edelmetallhändler massive Probleme, die regelrecht explodierende Nachfrage verunsicherter Anleger zu befriedigen. Wie stellt sich die aktuelle Versorgungslage dar?
Hans-Günter Ritter: Die Covid-19-Krise, die in Europa zuerst in Norditalien massiv aufgetreten ist, hat im benachbarten Schweizer Kanton Tessin zu massiven Produktionseinschränkungen bei den großen Barrenproduzenten geführt. Aufgrund einer behördlichen Anordnung wurde die Produktion für zwei Wochen stillgelegt und anschließend sukzessive wieder hochgefahren. Aufgrund der starken Einbrüche an den Finanzmärkten war aber gleichzeitig eine deutlich stärkere Nachfrage nach Edelmetallprodukten in allen Formen zu verzeichnen. Mittlerweile hat sich die Lage normalisiert. Die Barrenhersteller produzieren wieder in vollem Umfang und die Nachfrage hat sich auf einem niedrigeren Niveau eingependelt. Alle Barrengrößen sind derzeit sofort lieferbar.
In diesem Jahr hat die Goldnachfrage in westlichen Industrienationen dank der Entwicklung bei ETFs einen regelrechten Boom erfahren. Wie stufen Sie in diesem Kontext die aktuelle Marktmacht der Asiaten ein?
In Asien sind mit China und Indien weiterhin die zwei Schwergewichte der globalen Nachfrage vertreten. Durch die Covid-19-Krise und den daraus resultierenden Lockdown ist die physische Nachfrage in beiden Ländern vorübergehend eingebrochen. Die globale Nachfrage der ETF-Investoren ist derzeit zweifellos die große treibende Kraft, die die Preise nach oben treibt.
In wichtigen Edelmetall-Förderländern wie Südafrika, Australien, Mexiko und Peru bereitet das Coronavirus weiterhin Schwierigkeiten. Machen Sie sich derzeit Sorgen um die globale Versorgung mit Edelmetallen?
Die Förderung in wichtigen Produktionsländern liegt teilweise noch unter dem „Vorkrisenniveau“. Gleichzeitig ist aber für die industriell genutzten Edelmetalle eine deutlich schwächere Nachfrage zu verzeichnen. Die Autoindustrie, die z. B. als wichtigster Verbraucher von Platinmetallen gilt, verzeichnet derzeit massive Einbrüche. Eine Erholung auf das alte Niveau wird noch eine ganze Weile dauern. Gleichzeitig kämpft die Industrie mit einem Strukturwandel, weg vom Verbrennungsmotor hin zu Co2-reduzierten oder -freien Antriebstechniken. Das geringere Angebot trifft somit gleichzeitig auf eine niedrigere Nachfrage. Ähnlich verhält es sich bei Silber, das ebenfalls durch eine starke industrielle Verbrauchskomponente gekennzeichnet ist.
Für Gold berichtet das World Gold Council von einem Rückgang der Minenproduktion im ersten Quartal um drei Prozent aufgrund des Lockdowns in wichtigen Produktionsländern. Im zweiten Quartal, dessen Zahlen noch nicht vorliegen, wird von einer Erholung ausgegangen. Das Recycling von Gold ist als Folge des Lockdowns in vielen Regionen trotz des Preisanstiegs ebenso zurückgegangen. Die Versorgung sehe ich trotzdem nicht als gefährdet an. Unter dem Strich dürfte die stabile Nachfrage, bei einem fortgesetzt niedrigen Zinsniveau, auf absehbare Zeit zu festeren Preisen führen.
Wie bewerten Sie die aktuelle Lage an den Terminmärkten, insbesondere bei Gold und Silber? Kritiker bemängeln, dass insbesondere Futures-Kontrakte auf Gold und Silber nur unzureichend mit Barren hinterlegt sind.
Liquide Terminmärkte sind zum einen für die verarbeitende Industrie und an den Edelmetallmärkten beteiligte Banken für das Hedgen physischer Bestände wichtig und zum anderen werden sie von Spekulanten und Investoren genutzt, um an Marktbewegungen zu partizipieren. Der Ausfall der Herstellkapazitäten für Goldbarren führte temporär zu großen Verwerfungen an den Terminmärkten, die zu einer deutlichen Ausweitung der Preisdifferenzen zwischen Spot- und Terminmarkt geführt haben. Halter von Short-Positionen hatten hierdurch temporär große „Buchverluste“ zu verzeichnen, da der Zugang zu lieferfähigem Gold eingeschränkt war.
Durch die Wiederaufnahme der Barrenproduktion sind mittlerweile große Edelmetallmengen in die Lagerhäuser der Terminbörsen geflossen. Es zeigt sich nun allerdings, dass die Halter von Long-Positionen am Verfalltag des Terminkontraktes nicht an der physischen Ware interessiert sind, da die Abnahme der physischen Ware mit erheblichem Kapitalbedarf verbunden ist. Die Player an den Terminmärkten arbeiten in der Regel mit geringerem Kapitaleinsatz. Während der Laufzeit der Terminkontrakte sind lediglich Einschussverpflichtungen erforderlich. Bei Fälligkeit werden diese Positionen meist durch Gegengeschäfte geschlossen. Die kapitalintensive physische Erfüllung von Terminkontrakten ist somit eher die Ausnahme. Wie das aktuelle Beispiel aber auch zeigt, können die Barrenhersteller reagieren und die erforderlichen Metallmengen zur Verfügung stellen, auch wenn es unter Covid-19-Einflüssen temporär etwas länger gedauert hat.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Nachfrage nach physischem Gold in der zweiten Jahreshälfte entwickeln?
Auch wenn sich die Wirtschaft durch die Lockerungsmaßnahmen langsam zu erholen beginnt und die Aktienkurse wieder nach oben laufen, gehen wir von einer fortgesetzt guten Nachfrage aus. Die Zinsen bleiben auf Dauer niedrig und die wirtschaftliche Erholung wird von Unterbrechungen begleitet sein. Die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen und die zugespitzte Situation in den USA bereiten vielen Anlegern Sorgen, was stützend auf die Nachfrage wirkt. Physisches Gold wird daher als Anlageprodukt auch weiterhin eine sehr wichtige Rolle spielen. Aber auch das Thema Inflationsschutz dürfte für eine stabile Goldnachfrage sorgen. Und zwar spätestens dann, wenn die umfangreichen Konjunkturpakete auf die Realwirtschaft durchschlagen und die Folgen der Schuldenberge sichtbar werden.
Wie ist Ihre Kurserwartung bezüglich Gold und Silber in den kommenden drei Jahren?
Im Kursniveau gegen Euro haben wir historisch höchste Preise erreicht; das trifft teilweise auch auf andere Währungen zu. Rückschläge sind daher jederzeit möglich, insbesondere weil die unterstützende Nachfrage aus den großen Märkten wie Indien und China derzeit fehlt. Grundsätzlich erfüllt Gold nach wie vor die Rolle als Versicherung in Krisenzeiten und wir sind daher weiterhin vorsichtig optimistisch, was dessen Preisentwicklung angeht. Silber hat den Rückstand zu Gold bei der Wertentwicklung in der zweiten Julihälfte aufgeholt und profitiert zusätzlich von Erwartungen einer Konjunkturerholung durch das Euro-Rettungspaket. Beim Silberverbrauch überwiegen, anders als bei Gold, industrielle Anwendungen.
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