Leiter Edelmetallhandel bei Heraeus: “Sprunghafter Anstieg der Edelmetall-Nachfrage in der Corona-Krise”
Hans-Günter Ritter ist der Leiter Edelmetallhandel bei Heraeus. Die Goldbarren des Unternehmens gehören zu den beliebtesten Anlageprodukten, wenn es um die Investitionen in physische Edelmetalle geht. pro aurum hat mit ihm über die aktuelle Situation in Zeiten der Corona-Krise gesprochen.
Herr Ritter, bitte beschreiben Sie die Herausforderungen, die Sie in den vergangenen Wochen zu bewältigen hatten.
Zum einen waren wir durch die Corona–Krise mit einem sprunghaften Anstieg der Nachfrage konfrontiert, zum anderen gab es erhebliche Unterbrechungen in der Lieferkette. Die weltweit größten Verarbeitungskapazitäten für Gold konzentrieren sich auf die Südschweiz. Durch die Nähe zu Norditalien, das sehr stark von der Ausbreitung des Virus betroffen war, mussten Betriebe auf behördliche Anordnung für zwei Wochen geschlossen werden. Zeitgleich wurde die globale Lieferkette durch massive Einschränkungen bei verfügbaren Flugkapazitäten gestört. Bedingt durch diese Situation gab es einen sehr hohen Abstimmungsbedarf, um wichtige Kunden weiterhin mit dem begrenzten Angebot zu beliefern.
Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf die Produktion im Tessin und wie haben Sie auf die Einschränkungen reagiert?
Wir haben nach dem Aufheben der Beschränkungen sukzessive die Produktion wieder hochgefahren. Am Anfang waren nur 50 Prozent möglich, nun wird bereits seit einigen Wochen wieder voll produziert. In der extremen Phase konnten wir mit unserer globalen Aufstellung auf unseren Produktionsstandort in Hongkong zurückgreifen. Trotz erheblicher logistischer Einschränkungen konnten wir die Versorgung für bestimmte Barrengrößen aufrechterhalten und damit unsere Kunden bedienen.
Können Sie abschätzen, wann sich die Produktion von Edelmetallbarren wieder normalisieren wird?
Bei (größeren) gegossenen Barren sind wir bereits ohne Einschränkungen lieferfähig. Bei den geprägten Barren sind wir auf einem guten Weg, müssen allerdings noch Rückstände in unserem Auftragsbestand abarbeiten.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Nachfrage nach physischem Gold in der zweiten Jahreshälfte entwickeln?
Auch wenn sich die Wirtschaft durch die Lockerungsmaßnahmen langsam zu erholen beginnt und die Aktienkurse wieder nach oben laufen, gehen wir von einer fortgesetzt guten Nachfrage aus. Die Zinsen bleiben auf Dauer niedrig und die wirtschaftliche Erholung wird von Unterbrechungen begleitet sein. Die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen und die zugespitzte Situation in USA bereiten vielen Anlegern Sorgen, was stützend auf die Nachfrage wirkt. Physisches Gold wird daher als Anlageprodukt auch weiterhin eine sehr wichtige Rolle spielen. Aber auch das Thema Inflationsschutz dürfte für eine stabile Goldnachfrage sorgen. Und zwar spätestens dann, wenn die umfangreichen Konjunkturpakete auf die Realwirtschaft durchschlagen und die Folgen der Schuldenberge sichtbar werden.
Auf dem Silbermarkt ist seit geraumer Zeit ein Phänomen zu beobachten: Der Spot-Preis und die Futures-Kurse entwickeln einen immer größeren Abstand zueinander. Warum ist das so und welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf Privatanleger?
Aufgrund der Corona–Krise ist es am Silbermarkt zu Verwerfungen gekommen. Die Lieferkette für physisches Silber in die USA, wohin große Mengen Silber aus Mexiko und Peru importiert werden, funktioniert derzeit nur begrenzt. Pandemiebedingt fallen große Teile der Produktion aus diesen Ländern aus. Die Inhaber von Long-Positionen in den Futures-Märkten halten derzeit an ihren Positionen fest. Da die Short-Positionen auf der Gegenseite durch das Fehlen von Good-Delivery-Barren aufgrund der Störungen in der Lieferkette nur begrenzt durch physische Anlieferungen bedient werden können, hat sich die Differenz zwischen dem Spot- und den Futuresmärkten ausgeweitet. Näher zum Verfalldatum der Futures-Kontrakte gehen wir von einer schrittweisen Annäherung der Spot- und Futures-Märkte aus. Zum einen findet physisches Silber sukzessive den Weg zurück in die USA und zum anderen halten Banken physisches Silber aus Eigenbeständen zurück, um damit evtl. ihre Short-Positionen bei Fälligkeit bedienen zu können. Die Halter von Long-Positionen dürften hingegen nur begrenztes Interesse haben, physisches Silber gegen bestehende Long-Positionen bei Fälligkeit der Terminkontrakte abzunehmen. Wir gehen außerdem davon aus, dass größere Marketmaker, die vor einigen Wochen erhebliche Bewertungsverluste aus Futures-Positionen erlitten haben, durch Anpassungen in ihrem Risikoprofil derzeit daran gehindert werden, Arbitragemöglichkeiten zwischen Spot- und Futures-Märkten wahrzunehmen. Hierdurch fehlt ein ausgleichendes Element, wodurch es zu einer höheren Volatilität der Spreads zwischen Spot- und Futures-Markt kommt. Ähnliche „Kapriolen“ gab es kürzlich am Goldmarkt. Der Ölmarkt hat gezeigt, welche extremen Verwerfungen an den Futures-Märkten möglich sind; davon sind wir bei den Edelmetallen aber weit entfernt.
Silber ist ein Edelmetall, das zu großen Teilen in die industrielle Verwendung geht. Das verringerte Angebot aus der primären Produktion trifft nun auf eine geringere Nachfrage. Es bleibt zu beobachten, welche der beiden Einflussfaktoren die stärkeren Impulse setzen wird. Das Fehlen von kurzfristig verfügbarem Silber wirkt sich aktuell auf den Silberpreis aus. Das Gold-Silber-Ratio ist wieder unter 100 gefallen, liegt damit aber immer noch deutlich über dem langjährigen Durschnitt. Anders als bei vorherigen Krisen sehen wir aber dieses Mal ein gestiegenes Interesse von Investoren an Silber. Das zeigt sich u. a. auch in den stark steigenden ETF-Beständen. Ich gehe davon aus, dass Silber bei der Wertentwicklung hinter Gold zurückbleiben wird.
Bei pro aurum ist seit einiger Zeit eine stärkere Privatkunden-Nachfrage nach Platin-Produkten zu beobachten. Derzeit sind Platin-Barren aber nicht prompt zu bekommen. Warum kommt es hier zu so langen Lieferzeiten?
Um die Rückstände abzuarbeiten, liegt derzeit der Fokus der Produktion auf Gold, wo es noch Nachholbedarf gibt. Industriebarren mit einem Gewicht von ca. fünf Kilogramm sind aus unserer eigenen Produktion derzeit verfügbar.
Wie lautet Ihr Fazit zur Mitte des Jahres 2020 speziell für die Geschäftsentwicklung Ihres Unternehmens?
Im Edelmetallumfeld sind wir mit Heraeus Precious Metals als Service Provider in der Verarbeitung, im Recycling und Handel gut aufgestellt. Auch wir spüren die aktuelle Krise, blicken aber trotzdem positiv in die Zukunft.
Wie ist Ihre Kurserwartung bezüglich Gold und Silber in den kommenden drei Jahren?
Im Kursniveau gegen Euro bewegen wir uns in der Nähe der historisch höchsten Preise; das trifft teilweise auch auf andere Währungen zu. Rückschläge sind daher jederzeit möglich, insbesondere weil die unterstützende Nachfrage aus den großen Märkten wie Indien und China derzeit fehlt. Grundsätzlich erfüllt Gold weiter die Rolle als Versicherung in Krisenzeiten und wir sind daher weiter vorsichtig optimistisch, was die Preisentwicklung angeht.
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